A. DIE QUELLEN
ZUR RÄTISCHEN SPRACHE
I. Die Räter im
Spiegel der antiken Literatur
Am Beginn
der neuzeitlichen Räterforschung standen nicht etwa die Resultate
archäologischer Grabungen, sondern die spärlichen Überlieferungen
über die Räter in den Werken antiker Autoren. Ihre Aussagen
haben - trotz ihres spekulativen Charakters - die wissenschaftliche
Arbeit über Jahrzehnte hinweg über Gebühren beeinflusst
und sind zur Grundlage so mancher irreführender Behauptung geworden.
Für die geistige Welt der griechischen und römischen Antike
war das Volk der Räter eine quantité négligeable.(3)
Erwähnungen, die sich nicht mit kriegerischen Aktivitäten
in Verbindung bringen lassen, beziehen sich vor allem auf die geographische
und ethnische Situation, die sich die Geschichtsschreiber für den
Alpenraum vorstellten - oder auf die Qualität des rätischen
Weines.(4)
Von Marcus Porcius Cato Maior (234-149
v. Chr.) soll die älteste uns überlieferte Bemerkung über
die Räter stammen. Wir kennen seine Worte - sie sind, abgesehen
von ihrem mutmasslichen Alter, nicht von grosser Bedeutung - aus dem
Vergil-Kommentar des Servius Grammaticus: «[Raeticam] uuam Cato
praecipue laudat in libris quos scripsit ad filium.»(5) («Cato
lobte in den Briefen, die er seinem Sohn schrieb, besonders den rätischen
Wein.») Die Bemerkung Catos stand ursprünglich wohl in seinem
Liber de re rustica. Ein rätischer Volksstamm scheint also den
damaligen Römern bekannt gewesen zu sein, besonders seines Rebbaus
wegen. Wo der rätische Wein jedoch wuchs, lässt sich nicht
erschliessen.
Die älteste griechische Quelle zu den Rätern finden wir bei
Polybios von Megalopolis (2. Jh.
v. Chr.). In den uns erhaltenen Bänden 1 bis 5 seines auf 40 Bände
angelegten Geschichtswerkes werden die Räter zwei Mal erwähnt;
(6) auch er lobt den rätischen Wein und teilt uns ausserdem mit,
dass das Gebiet der Räter und der mit ihnen genannten Vindelikern
an die Gebiete der Helvetier und Boïer grenze und sich im Süden
bis nach Verona und Como erstrecke.
Von Marcus Tullius Cicero (106-43
v. Chr.) ist bekannt, dass er die Räter für das kriegerischste
aller Völker hielt (Epist. fam., Lep. 4). (7) Diese Bemerkung war
sicherlich politisch geprägt und stand in Zusammenhang mit dem
typisch römischen Räterbild eines raubenden und mordenden
Bergvolkes, das später von Cassius Dio
zusätzlich untermauert wurde (s. u.).
Marcus Iunianus Iustinus, ein Historiker
des 2. Jh. n. Chr., hat uns in einem Auszug eine Stelle aus dem Werk
Historiae Philippicae des Kelten Pompeius Trogus,
der im 1. Jh. v. Chr. lebte, überliefert. Er weiss über die
Herkunft der Räter zu berichten: «Auch die Etrusker fassten
nach Verlust ihrer von den Ahnen überkommenen Wohnsitze unter der
Führung des Raetus Fuss in den Alpen und gründeten nach dem
Namen ihres Anführers den Stamm der Räter.» (8) Diese
Nachricht wurde (neben anderen) zu einem wichtigen Grundstein der späteren
Etruskertheorie der Räterforschung, obwohl man durchaus vermuten
kann, dass die Stelle bei Pompeius Trogus nichts weiter ist als eine
Mythisierung, wie wir sie auch von anderen Stämmen her kennen:
Aus dem überlieferten Stammesnamen wird ein Personenname etymologisiert
und dieser personifiziert, um einen imaginären Führer des
Volkes zu erschaffen.
Die Räter fanden auch ihren Niederschlag in den Gedichten des Quintus
Horatius Flaccus (65-8 v. Chr.). Er scheint mit Cicero
einer Meinung gewesen zu sein, was die Unmenschlichkeit der Räter
angeht - in Carmen 4, 14 redet er von «immanisque Raetos»
(9); es findet sich aber auch ein geographischer Hinweis in Carmen 4,
4: «(...) videre Raetis bella sub Alpibus Drusum gerentem Vindelici
(...)» (10). Die Vindeliker, bereits bei Polybios zusammen mit
den Rätern genannt, befinden sich also am Fuss der rätischen
Alpen.
Strabon von Amaseia (63 v. Chr.-20
n. Chr.), Historiker und Geograph, schrieb ebenfalls von Rätern
und Vindelikern: «Beide Völker leben nach Strabon in und
auf den Alpen. Como (...) liegt am Südfuss der Alpen; es verbindet
auf einer Seite, gegen Westen, das Land der Räter und der Vennones
und auf der andern das der Lepontier, Tridentiner und anderer kleiner
Volksstämme. Die Lepontier, Tridentiner und Stoner (11) sind nach
Strabon keine Räter.» (12) Dagegen sind für Strabon
die Bewohner der Val Camonica Räter. (13) Das dem nicht so ist,
hat sich in der neueren Forschung herausgestellt (s. u.). Strabon behauptet
auch, die Stadt Como sei eine Rätergründung. (14) Dagegen
wird heute von sprachwissenschaftlicher Seite angeführt, Como sei
vielmehr mit den «Cammuni» aus der Val Camonica in Verbindung
zu bringen. (15) In Geogr. IV 6, 8 und IV 6, 12 unterscheidet Strabon
zudem die Räter eindeutig von den Illyrern, zu denen er die Breuni
und Genauni rechnet. In Geogr. IV 6, 6 wiederum lässt Strabon die
Räter nördlich der Alpen siedeln, die Lepontier auf deren
Südseite. Die Lepontier seien es auch gewesen, die zusammen mit
den Tridentinern und Stonern häufig mit räuberischen Absichten
in Italien einfielen, bis Augustus sie schliesslich befriedete. Nach
Geogr. IV 3, 3 lässt sich behaupten, dass sich am Bodensee drei
Stammesvölker berührt haben: im Norden lebten die Vindeliker,
im Südwesten die Helvetier, und den Rhein flussaufwärts die
Räter. Die verschiedenen Erwähnungen bei Strabon zeigen, dass
sein Räterbild alles andere als eindeutig war. Das rührt nicht
zuletzt daher, dass sich in seinen Erläuterungen seine eigenen
zeitgenössischen Ansichten mit denen seiner Quellen (u.a. Poseidonios,
ein um 135 v. Chr. in Syrien geborener Stoiker) mischen. (16)
Eine Partie aus Ab urbe condita des Titus Livius
bezeichnet der Sprachhistoriker Stefan Schumacher als «zweifellos
wichtigste Stelle» (17) für die neuzeitliche Räterforschung,
die sich bei antiken Autoren finden lässt. Es handelt sich um Livius
V, 33, 11: «Alpinis quoque ea gentibus haud dubie [scil. tusca]
origo est, maxime Raetis, quos loca ipsa efferarunt, ne quid ex antiquo
praeter sonum linguae nec eum incorruptum retinerent.» (18) («Auch
die Alpenvölker haben zweifellos diesen [etruskischen] Ursprung,
vor allem die Räter, die die Gegend selbst hat verwildern lassen,
so dass sie nichts vom Althergebrachten ausser dem Klang ihrer Sprache,
und auch den nicht unverfälscht, bewahrt haben.» (19)) Dieses
Zitat von Livius ist wohl die einzige Bemerkung, die von einem antiken
Historiker je über die Sprache der Räter gemacht wurde. Diese
Einzigartigkeit hat viele Forscher dazu verleitet, die Behauptung des
Livius für bare Münze zu nehmen und zu postulieren, das Rätische
sei dem Etruskischen gleichzusetzen oder doch zumindest für einen
verwilderten etruskischen Dialekt zu halten.
Neben Horatius Flaccus hat auch Publius Ovidius
Naso (43 v. Chr.-ev. 18 n. Chr.) die Räter in seiner
Lyrik verewigt, und auch er betont ihre kriegerische Seite: «Nunc
tibi Pannonia est, nunc Illyris ora domanda, Raetica nunc praebent Thraciaque
arma metum» (20) schrieb er im zweiten Buch seiner Tristia. Festzuhalten
ist, dass Ovid eindeutig zwischen Rätern und Illyrern unterschied.
Ein relativ grosses Wissen über die Räter scheint Plinius
Secundus Maior (23-79) gehabt zu haben. Insbesondere im dritten
Buch seiner Historia naturalis, in dem er von der Geographie Europas
berichtet, werden die Räter an mehreren Stellen erwähnt. In
Hist. nat. III, 133 übernimmt Plinius möglicherweise die Behauptung
des Pompeius Trogus: «Raetos
Tuscorum prolem arbitrantur a Gallis pulsos duce Raeto» (21) -
die Räter, die man für Nachfahren der Etrusker (Tuscorum)
hielt, wurden also unter ihrem Führer Rätus von den Galliern
vertrieben. Geographische und ethnographische Angaben macht Plinius
wiefolgt: «Feltrini et Tridentini et Beruenses Raetica oppida,
Raetorum et Euganeorum Verona» (22) (Hist. nat. III, 130: «Die
Bewohner von Feltria und Tridentum und Berua [leben in] rätischen
Städten, Verona [liegt im Gebiet] der Räter und Euganeer.»
(23)) Zu dieser Stelle meint Frei-Stolba: «Mit anderen Worten
ist nach Plinius vielleicht nach der ihm vorliegenden Quelle das Etschtal
um Trient («Tridentini») von den Rätern bewohnt, dann
das Piavetal um Feltre und schliesslich die Gegend um die Stadt Berua
oder Beria, die (...) offenbar in der Nähe von Feltre zu lokalisieren
ist.» (24) Die oben erwähnten Euganeer, die in der antiken
Geschichtsschreibung mehrmals vorkommen, sind wahrscheinlich ein Volk
von Uransässigen in der Nähe der Räter, mit denen sie
oft in Verbindung gebracht werden. Plinius sagt weiter in Hist. nat.
II, 135: «Raetorum Vennonenses Sarunetesque ortus Rheni amnis
accolunt» (25) - die Vennonensen und Saruneten sind rätische
Stämme, die am Ursprung des Rheins leben. Es ist nicht genau bekannt,
welche Region damit gemeint ist - sie kann irgendwo zwischen dem Quellgebiet
des Rheins und dessen Mündung in den Bodensee liegen, jedenfalls
aber am Oberlauf des Rheins. Plinius stimmt hier mit Strabon überein,
der ebenfalls sagt, dass die Räter dieses Gebiet bewohnen. Auch
bei Plinius sind die Noriker die Nachbarn der Räter (Hist. nat.
III, 146: «A tergo Carnorum et Iapudum, qua se fert magnus Hister,
Raetis iunguntur Norici.» (26)); der Fluss Hister ist wohl die
untere Donau; die Iapudi sind ein illyrischer Stamm - auch hier werden
die Räter von den Illyrern getrennt.
Eine weitere Erwähnung der Räter findet sich in der Historia
Romana des angesehenen «procurator Augusti» Appian
aus Alexandreia (2. Jh. n. Chr.). Er bringt, im Gegensatz
zu Strabon, die Räter gleichzeitig
in Verbindung mit den Illyrern (als solche werden sie von den Römern
laut Appian bezeichnet) und den Galliern. (27) Sind sie für ihn
nun ein illyrisches oder ein keltisches Volk? Auch Appian scheint keine
klaren Quellen besessen zu haben. Der Altphilologe Alfred Toth meint
dazu: «Damit erhebt sich (...) die Quellenfrage Appians. Der Orientale
Appian kannte zweifellos die Illyrer, die Vorläufer der Albaner,
denn ihr Siedlungsgebiet reichte zu seiner Zeit (die Texte entstanden
um 160) bis ans Schwarze Meer (...). Appian kann aber, nach eigenen
Worten, über westliche Dinge wie den angesprochenen Rätisch-Vindelikischen
Krieg der Jahre 16/15 v. Chr. nur Mutmassungen anstellen. Seine Aussage
bleibt damit, auch, was die späte Entstehung des Textes betrifft,
fragwürdig.» (28)
Cassius Dio Cocceianus (155-235),
römischer Senator und Konsul aus Kleinasien, setzt in seiner Geschichte
Roms einen Räter-Mythos in die Welt, der wohl als nachträgliche
Legitimation für den Feldzug des Drusus gegen die Räter im
Jahr 15 v. Chr. dienen soll. Frei-Stolba erkennt in diesem Textabschnitt
in Übereinstimmung mit Denis van Berchem antirätische Propaganda
Roms; derselben Meinung ist auch Toth. In der Übersetzung lautet
die Passage bei Cassius Dio (Hist. Rom. 54, 22, 1ff) wiefolgt: «[Die
Räter] machten oft Einfälle in das angrenzende Gallien und
Raubzüge nach Italien und misshandelten die Römer oder deren
Bundesgenossen, die durch ihr Land des Weges zogen. Und dies schienen
sie gegenüber denen, die mit ihnen nicht im Bunde standen, im Brauche
zu haben; ja alles männliche, was ihnen in die Hände fiel,
sogar das Kind im Mutterleib, rotteten sie aus. Deshalb nun schickte
Augustus zuerst Drusus gegen sie (...). Hernach aber, als sie zwar von
Italien zurückgeschlagen waren, aber gleichwohl Gallien bedrängten,
sandte er auch noch den Tiberius.» (29) Trotz der propagandistisch
gefärbten Grundtendenz der Textstellen bei Cassius Dio kann man
davon ausgehen, dass die geographische Einordnung der Räter dadurch
nicht tangiert wurde. Für Dio lebten die Räter in den Tridentinischen
Alpen, zwischen Norikum und Gallien. (30) Die Quelle des Rheins lokalisiert
er in den keltischen Alpen, «wenig ausserhalb Rätiens».
(31)
Bei Ammianus Marcellinus (330-395),
Offizier aus Antiocheia und Soldat im Alamannenkrieg unter Iulian, erfahren
wir, dass die Anwohner des Bodensees Räter sein sollen: «(...)
[Rhenus] lacum inuadit rotundum et uastum, quem Brigantiam accola Raetus
appellat(...).» (32) Und weiter: «(...) amnis uero Danubius
oriens prope (...) montes(que) confines limitibus Raeticis (...) (33)
- die Donau entspringe in den Rätien benachbarten Alpen.
Der spätlateinische, aus Alexandrien stammende, aber in Rom
und Mailand tätige Dichter Claudius Claudianus,
der um das Jahr 400 lebte, sieht das anders, bei ihm entspringen Rhein
und Donau in den rätischen Alpen selbst: «(...) Raetia (...)
quae se Danuvii iactat Rhenique parentem (...)» (34) - Rätien
wird hier dargestellt als Mutter der beiden Flüsse.
Ein Zeitgenosse des Claudianus war wohl der Vergil-Kommentator Servius
Grammaticus, dem wir auch die Überlieferung des Cato-Satzes
über den rätischen Wein verdanken (s. o.). In seinem Kommentar
zur Aeneis führt er an, die Räter (und Vindeliker) seien Liburnier
(«(...) quia Raeti Vindelici ipsi sunt Liburni, saevissimi admodum
populi, contra quos missus est Drusus» (35)). Von Plinius und
Pomponius Mela wissen wir, dass die Liburnier von den Römern für
Illyrer gehalten wurden - also dürfen wir für Servius eine
Gleichung «Räter = Illyrer» annehmen.
Ebenfalls von Bedeutung für die frühe Räterforschung
waren die Äusserungen des byzantinischen Historikers Zosimos
(5. Jh.). In seiner um 480 verfassten Nea Historia (Historia Nova) gibt
er ein erneutes Beispiel widersprüchlicher Darstellung der rätischen
Volkszugehörigkeit. Einerseits spricht Zosimos von Rätern,
die eine keltische Legion bildeten (36); anderseits lokalisiert er sie
«bis zu den Alpen hin» (37) - aus seiner byzantinischen
Sicht würde das heissen: auf illyrischem Gebiet. Vor allem die
Zuordnung der Räter zu den keltischen Legionen hat einige Forscher
später dazu veranlasst, in der rätischen Sprache eine Dominanz
keltischer Elemente zu vermuten.
Eine letzte erwähnenswerte Angabe in griechischer Sprache finden
wir bei Stephanos von Byzanz, eine
einzige Zeile nur in seinem Werk Ethnika (geschrieben um 530): «Die
Räter sind ein etruskisches Volk.» (38) Hier handelt es sich
wahrscheinlich bereits um eine Sekundärquelle; die Angabe scheint
auf Livius und Plinius zurückzuführen. Insbesondere Georgiev
hat diese späte Aussage als Stütze seiner 1973 publizierten
Behauptung, die Räter seien Etrusker, verwendet.
Eine Stützung der Illyrer-Hypothese findet sich auch in den Werken
des oströmischen Historikers Iordanis
(um 551). In De summa temporum vel origine actibusque gentis Romanorum
schreibt er: «Illyres autem, id est Veneti, seu Liburnes sub extremis
Alpium radicibus agunt inter Arsiam Titulumque flumen longissimae per
totam Adriam maris litus effusi.» (39) Die Illyrer, zu denen er
die Veneter und Liburnier (von denen die Räter in den Augen der
Römer ein Teil waren) zählt, wohnen «an den äussersten
Wurzeln der Alpen» längs des Adriatischen Meeres. Dass die
Illyrer ebenso wie die Räter von den Römern als räuberisches
und kriegerisches Volk betrachtet wurden, mag der Identifikation der
einen Gruppe mit der anderen durch die Römer noch Vorschub geleistet
haben.
In ihrer Gesamtheit betrachtet, bieten die Erwähnungen der Räter
in den Werken der antiken Schriftsteller ein sehr buntes Meinungspanorama.
Beinahe jeder Autor, sofern er nicht einen Vorgänger als Quelle
benutzt hat, scheint sich sein eigenes Räterbild zu konstruieren,
auch wenn einige Grundzüge sich durch mehrere Textstellen hindurch
verfolgen lassen und bei verschiedenen Schriftstellern in ähnlicher
Form wieder auftauchen. Eindeutige Resultate bietet das Quellenstudium
kaum; es finden sich unzählige Widersprüche in den einzelnen
Texten selbst oder beim Vergleich der Textstellen untereinander. Trotzdem
haben viele Exponenten der neuzeitlichen Räterforschung versucht,
auf der einen oder anderen dieser Erwähnungen eine Theorie über
die Herkunft und Sprache der Räter aufzustellen. Dass ein solcher
Versuch nur scheitern kann, erweist sich allerdings nach gründlicher
Lektüre der Quellen recht bald. Schon die obige Auswahl aus den
antiken Bezeugungen - sie ist keineswegs vollständig - verunmöglicht
es, zu behaupten, die Räter seien entweder Etrusker, Illyrer oder
Kelten gewesen. Es lässt sich vielmehr erahnen, dass die Räter
ein Mischvolk aus all den Einflüssen waren, die sich damals im
Alpenraum angeboten haben. Auch die Schlüsse, die Regula Frei-Stolba
aus der Betrachtung der antiken Quellen zieht, und denen man in geographischer
Hinsicht sicher zustimmen kann, müssen vage bleiben: «Die
Südalpentäler waren offenbar nicht von Italikern bewohnt,
falls man nicht die Veneter zu ihnen zählt, vermutlich auch nicht
von Kelten, sondern sie waren von anderen Stämmen besiedelt, sog.
«Urvölkern», die in den Augen der antiken Schriftsteller
auch als «Räter» galten. Ganz in der Nähe, offenbar
weiter gegen die Alpen hin, müssen dann Räter gesessen haben,
die zu Überfällen in die Städte verlockt wurden. Damit
stimmen die bekannten Inschriftenfunde in nichtlateinischen Sprachen
ungefähr überein: die lepontischen Inschriften im Umkreis
von Lugano bis gegen Mailand hin, die Felsinschriften aus der Val Camonica
und die wenigen verstreuten Zeugnisse im Alphabet von Sondrio. Welchen
nun nach sprachlichen Kriterien definierten Volksgruppen diese verschiedenen
Inschriften zuzuordnen sind, muss die Sprachwissenschaft entscheiden.»
(40)
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