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Über die
Gründungszeit bis zur Umwandlung in ein Augustinerchorfrauenstift im Jahre
1156 liegen zum Kloster Cazis keine archivalischen Quellen vor (Brunold, U.:
Cazis, in: Helvetia Sacra, Bd. III, 1, S. 256). Mit Hilfe von mittelbaren Quellen
und der allgemeinen Situation der Frauenklöster im Früh- und Hochmittelalter
können Rückschlüsse auf die Gründerzeit gemacht werden.
Bis zur Mitte
des 13. Jahrhunderts entstanden im Gebiete der Schweiz oder in unmittelbaren
Grenzgebieten ausgesprochen wenig Frauenklöster. Von den siebzehn frühen
Klöstern, deren Gründung vor dem Jahre 800 erfolgte, waren ein Viertel
Frauenklöster, nämlich Cazis und Mistail, die dem Bischof von Chur
unterstanden, sowie die Klöster Säckingen und Lützelau. Die Klöster
des 11. und 12. Jahrhunderts beherbergten jedoch sowohl Männer- wie Frauenkonvente.
Der Abt des Männerklosters war zugleich geistlicher und weltlicher Vorsteher
des Frauenkonventes. Dies änderte sich auch nicht bei der Wegverlegung
der Frauengemeinschaften und bestimmte allgemein in jener Zeit die Stellung
der von Männerklöstern abhängigen Frauenklöster (Gilomen-Schenkel,
E.: Frühe Klöster. Die Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz,
S. 71-81). Siegwart (Siegwart, J.: Die Chorherren- und Chorfrauengemeinschaft
in der deutschsprachigen Schweiz vom 6. - 11. Jh., S. 52f.) sieht die Gründung
des Klosters Cazis ebenfalls in der Verlegung des weiblichen kanonikalen Zweiges
vom Bischofssitz Chur nach Cazis, obwohl keine Quellen dazu vorliegen. Da seit
dem 12. Jahrhundert vor allem bei monastischen Autoritäten, wie Bernhard
von Clairvaux und Petrus Venerabilis, das Nebeneinander von Mönchen und
Nonnen an einem Ort als verwerflich galt, wurden Frauen- und Männerkonvente
früh entflechtet. Dieses Urteil hat die Klostergeschichtsschreibung bis
in die neueste Zeit bestimmt, so dass die frühen Frauenkonvente nur am
Rande erwähnt werden (Gilomen-Schenkel, E.: Frühe Klöster. Die
Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz, S. 72f.).
Cazis liegt in
einer altbesiedelten Landschaft (Bundi, M.: Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte
Graubündens im Mittelalter, S. 35f.) - in «Tumillasca», wie
das ganze Tal beidseits des Rheins ursprünglich benannt wurde. Heute umfasst
das Domleschg geographisch und politisch nur die rechtsrheinische Seite, während
die linke Talseite in weiterem Sinne der Heinzenberg genannt wird (Liver, P.:
Die Herrschaftsverhältnisse im Tumleschg und am Heinzenberg vom 12. bis
ins 15. Jh., in: Bündner Monatsblatt, Nr. 10, 1947, S. 289f.). Auch die
Verkehrswege wurden doppelt geführt, je ein Weg am östlichen und am
westlichen Talhang. Die Talsohle wurde bis zur Rheinverbauung im 19. Jahrhundert
immer wieder überflutet (Primas, M.: Cazis-Petrushügel in Graubünden,
S. 9). Die älteste urkundlich bezeugte Form «Tumilasca» - zur
Benennung eines Ministeriums - steht im karolingischen Reichsguturbar von 831
und bedeutet «Tal von Tomils». Diese Benennung ist römischen
Ursprungs und von «tumbiculus» (kleiner Hügel) abzuleiten (Poeschel,
E.: Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden, Bd. III, S. 79f.).
Die nähere Umgebung des heutigen Cazis war schon in prähistorischer
Zeit besiedelt. Ausgrabungen auf Cresta, südlich von Cazis, bezeugen bronze-
und eisenzeitliche Siedlungen (Primas, M.: Cazis - Petrushügel in Graubünden,
S. 13). Der Petrushügel (Schorta, A./ Planta, R.: Rätisches Namenbuch,
Bd. 1, S. 543) - eine familiäre Flurbezeichnung -, am selben Berghang wie
die Cresta-Siedlung, aber nördlich des Dorfes Cazis liegend, war schon
im Neolithikum bewohnt (Primas, M.: Cazis-Petrushügel in Graubünden,
S. 11, S. 13). Die gefundene italienische Terramare-Keramik - auf Cresta - aus
der frühen Bronzezeit um 1800 verweist auf die sehr frühe Begehung
der Bündner Pässe (Schnyder, W.: Handel und Verkehr über die
Bündner Pässe im Mittelalter, Bd. 1, S. 3). Von Bedeutung ist die
Lage an der Nord-Süd-Verbindung: Cazis liegt sowohl an der Nebenroute (die
Hauptroute zum Julier- und Malojapass führte über die Lenzerheide;
vgl.: Stähelin, F.: Die Schweiz in römischer Zeit, S. 362-364), die
zum Albula -, Julier- und Septimerpass führt, als auch an der Hauptdurchgangsstrasse
durch die Viamala zu den Hinterrheinpässen Splügen und San Bernardino,
um nach Chiavenna oder Bellinzona zu gelangen. Der Splügenpass bildet die
direkteste Verbindung zwischen Nord und Süd. Die Route ist bereits durch
das Itinerarium Antonini und die Peutingersche Weltkarte belegt (Schnyder, W.:
Handel und Verkehr über die Bündner Pässe im Mittelalter, S.
5-7). Selbst die Viamala wurde seit prähistorischer Zeit begangen. Nördlich
und südlich der Schlucht gab es bronzezeitliche Siedlungen. Römische
Funde fanden sich sowohl am Einstieg (Hohenrätien), als auch am Ausgang
der Viamala (Zillis-Reischen) (Simonett, C.: Die Viamala, in: Viamala. Verkehrsverein
Thusis (ed.), S. 17-19).
Aufgrund der «brolium» - Bezeichnungen, wie sie für Cazis belegt
sind, gehört dieser Ort zu den klassischen frühmittelalterlichen Ausbaugebieten.
Als uraltes Durchgangstal weist es Kontinuität aus rätisch-keltischer
Epoche über die römische Zeit bis ins Frühmittelalter auf (Bundi,
M.: Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens im Mittelalter,
S. 35-37). Eine ausdrückliche Erwähnung des Dorfes - in «loco
de caza» - ist in den Urkunden erst um 1204 zu finden (Mohr, Th. v.: Codex
Diplomaticus I, Anhang VI). Hingegen weist das kaiserliche Reichsguturbar von
831 in Almens («Luminins») - in der Nähe von Cazis - königliche
Besitzungen auf, wobei es sich um Wiesen und Äcker handelt, die später
für das Kloster von Bedeutung werden (Mohr, Th. v.: Codex Diplomaticus
I, Nr. 41, S. 61).
Das Stift wächst
in altes, frühzeitig christianisiertes und kirchlich organisiertes Kulturland
hinein. Das Patrozinium St. Peter des Klosters weist auf die Frühzeit kirchlicher
Organisation hin. Ob es sich um eine irisch-fränkische Klostergründung
handelt, lässt sich nicht entscheiden, weil bis ins 9. Jahrhundert keine
Beziehungen zu anderen Klöstern festzustellen sind. Da Cazis an einer früh
begangenen römischen Wegstrecke lag, dürfte die Kontinuität des
Christentums in diesem Gebiet erklärlich sein (Meyer-Marthaler, E.: Zur
Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 6, S. 11).
Die Organisation der Parochie scheint frühzeitig getroffen worden zu sein,
es handelt sich um eine typische Grosspfarrei mit der Kirchenburg Hochrealta
(Hohenrätien) als Mittelpunkt. Die Pfarrei St. Martin in Cazis hat ursprünglich
zur Grosspfarrei St Johann auf Hochrealta gehört, hingegen blieb das Kloster
St.Peter keiner Pfarrkirche unmittelbar angeschlossen. In den Besitz von Pfarrrechten
gelangte es erst 1156 durch die Inkorporation von St.Martin. Um diese Zeit werden
die Kirche St. Martin und der «presbyter» von Cazis erstmals urkundlich
erwähnt (Poeschel, E.: Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden,
Bd. III, S. 178-182).
Der Ort des alten Klosters war nicht am heutigen Platz im Dorf, sondern nordwestlich
davon, wo heute der Name «claustra vedra» (altes Kloster) daran
erinnert. Der Standort des alten Klosters lässt sich mit Hilfe von Flurnamen
lokalisieren, die im Klosterurbar von 1512 zusammen mit «claustra vedra»
erwähnt werden und deren Namensformen sich nur geringfügig verändert
haben (Schubert, W.: Der Standort des alten Klosters in Cazis, S. 341-352).
Das Areal «claustra vedra», auf dem möglicherweise die Vorgängerbauten
des Klosters Cazis standen, ist archäologisch noch nicht untersucht worden.
Urkundliche Anhaltspunkte über die Verlegung des Stiftes sieht Schubert
(ebenda, S. 351f.) in einer Urkunde von 1495 (Übertragung der Pfarrrechte
von St.Martin auf St. Peter):
«In dem Dorfe Chats (...) liegt nahe bei derm Kloster eine Kirche, welche dem hl. Bischof 5t.Martinus geweiht ist. (...) In der Vergangenheit war sie (St.Martin) lange Zeit Pfarrkirche. Gleichwohl ist sie schon längere Zeit verlassen, wegen einer besonderen Anhänglichkeit der Gläubigen an die Kirche des hl. Petrus in Chats (...). Diese Anhänglichkeit an die Peterskirche ist schon so alt, dass niemand in der Pfarrei ist, der nicht das Recht hätte auf ein Begräbnis bei dieser Peterskirche infolge langer Gewohnheit.»
Somit muss das
Kloster einige Zeit vor 1495 im Dorf gelegen haben, vielleicht nach dem Brand,
der nach Brusch (Brusch, Kaspar (1518-1557), in: Lieb, H.: Die Gründer
von Cazis, S. 41) l369 das Kloster in Asche legte. Der Text besagt zudem, dass
sich ein Gewohnheitsrecht auf einen Begräbnisplatz bei der Peterskirche
und dem Kloster herausgebildet hat.
1. Quellen zur Klostergründung
Von den Frauenklöstern der Churer Diözese ist Cazis vielleicht das älteste Kloster dieses Sprengels. Die Überlieferung über die Klostergeschichte fliesst bis ins späte Mittelalter sehr spärlich. Cazis besitzt keine selbständige und zeitgenössische Gründungsüberlieferung (Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 2f.). Die früheste Nachricht über die Stiftung vermittelt das «Necrologium Curiense» in einem Eintrag des 12. Jahrhunderts zum 21. November, die den Bischof Victor als Erbauer nennt: «Victor Cur. episc(opus) ob(iit), qui Cacias construxit» (Juwalt, W.: Die Jahrzeitbücher der Kirche zu Cur, S. 115). Diese Angabe wird durch den im Liber de feodis enthaltenen Churer Bischofskatalog von ca. 1380 bestätigt und ergänzt. Die dort eingeschobene Victoridengenealogie bezeugt den Bischof Victor als Sohn des Vigilius tribunus (Clavadetscher, O. P.: Churrätien im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter nach den Schriftquellen, S. 173f. - Derselbe: Zur Führungsschicht im frühmittelalterlichen Rätien, S. 68) und der Episcopina, wobei der pater Pascalis als «pater spiritualis» gilt: «Zacco fuit attavus Vigilii tribuni, cuius uxor sancta fuit cum nomine Episcopina. Illi ambo genuerunt Victorem episcopum memoratum, qui Cacias construxit et cuius spiritualis pater Pascalis fuit.» (Zitiert in: Müller, I.: Rätien im 8. Jahrhundert, S. 339).
Eine angebliche
Grabinschrift aus dem Kloster Cazis, die aus dem Spätmittelalter stammt
(1496-98), erwähnt Bischof Victor zusammen mit seiner Mutter und Bischof
Paschalis als Kirchengründer: «Victor episcopus Curiensis una cum
matre sua fundator huius monasterii et cum ea Paschalis episcopus Curiensis
genitor et antecessor eius.» (Bruschius, K.: Magni opera de omnibus Germaniae
episcopatibus epitome, in: Bündner Urkundenbuch I, Nr. 13, S. 10).
Nach der Cazner Überlieferung (Clavadetscher, O. P.: Zur Führungsschicht
im frühmittelalterlichen Rätien, S. 68) gilt Bischof Paschalis als
«pater carnalis» des Bischofs Victor (690/695). Ob Cazis eine Grabinschrift
besass, ist nicht belegt; möglich wäre die Bestattung des Bischofs
Victor in seiner gegründeten Kirche (Bündner Urkundenbuch I, Nr. 13,
S. 10). Die Inschrift stammt vom spätmittelalterlichen Chronisten K. Brusch,
der 1548 sich einen Tag lang im Kloster Cazis aufgehalten hat. Gemäss seinen
Aufzeichnungen muss er das Grab des Bischofs Victor und die darüberliegende
Inschrift gesehen haben. U. Campell erwähnt um 1573 nicht nur dieselbe
Inschrift, sondern auch die Wandbilder, die 1939 im Chor freigelegt wurden (Lieb,
H.: Die Gründer von Cazis, S. 41-43). Als originale Dokumente können
Text und Wandbild nicht gelten, weil sie auf die Wand des Chores gemalt waren,
der dem im Jahre 1504 vollendeten Neubau angehörte. Das Wandbild von 1504
illustriert jedoch jenen Text, der als Stiftertrifolium Bischof Victor, Bischof
Paschalis und die Mutter des Bischofs, Episcopina, nennt (Poeschel, E.: Die
Wandbilder in der Pfarr- und Klosterkirche zu Cazis, in: Bündner Monatsblatt,
1940, S. 335-337):
Nach mittelalterlicher Auffassung nehmen die heiligen Patrone St.Peter und St.Paul
(Blöchlinger, L.: Dominikanerinnen Cazis, S. 12) das Modell der Kirche
von Bischof' Victor entgegen. Bei der knieenden Figur am rechten Rand handelt
es sich um die regierende Äbtissin, Margaretha von Reitnau (1486-1508),
die durch das Wappen ausgewiesen ist. Das Stifterbild und die Inschrift stellen
die spätmittelalterliche Klosterüberlieferung über die Gründung
und die Gründer von Cazis dar (Poeschel, E.: Die Wandbilder in der Pfarr-
und Klosterkirche zu Cazis, in: Bündner Monatsblatt 1940, S. 335-337).
Die beiden erwähnten Quellen weisen auf Bischof Victor (690/695); somit ist die Klostergründung um 700 anzusetzen. Dass die Stiftung in diese Zeit zurückreicht, wird auch durch andere Indizien bekräftigt. In der Schenkungsurkunde von 765 des Bischofs Tello ans Kloster Disentis wird in der Nähe von Danis, Gemeinde Brigels, Grundbesitz genannt, der an das Gut einer Äbtissin grenzt: «Pradum Anives in curtino onera duodecim, confinientem ad abbatissae.» (Zitiert in: Müller, I.: Die Schenkung des Bischofs Tello an das Kloster Disentis, S. 32). Die Wiese in Anives in Danis stösst an die Grenzen der Cazner Äbtissin. Das Fehlen anderer Frauenklöster lässt hier den Schluss auf Cazis zu (ebenda, S. 127).
Die zweite Proklamation
des Churer Bischofs Viktor III. um 823 an Kaiser Ludwig den Frommen verweist
indirekt ebenfalls auf die Existenz des Klosters Cazis. Der Bischof beklagt
den nach der Trennung von Grafschaft und Bistum (806) eingetretenen Verfall
seiner Diözese und dass ihm von den fünf Klöstern nur noch zwei
Nonnenklöster geblieben seien (Müller, I.: Disentiser Klostergeschichte,
S. 47f.): «monasteria similiter quinque, ex quibus duos tantum ad nutriendum
habemus puellarum.» (Mohr, Th. v.: Codex Diplomaticus I, Nr. 15, zitiert
in: Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum
Chur, S. 4). Das eine davon dürfte nach allgemeiner Auffassung mit Bestimmtheit
auf Cazis zu deuten sein, das andere auf St. Peter zu Mistail (Meyer-Marthaler,
E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 15) oder
Schänis (Müller, I.: Disentiser Klostergeschichte, S. 48). Die erste
sichere Existenz des Klosters bezeugt das St. Galler Verbrüderungsbuch,
das eine Konventliste der Cazner Nonnen aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts enthält.
Da an ihrer Spitze bereits drei Äbtissinnen aufgehührt sind, ist die
Klostergründung mit Sicherheit in die Anfänge des 8. Jahrhunderts
anzusetzen. Meyer-Marthaler betrachtet das Kloster Impidines als Tochterkloster
von Cazis, da die Schenkung Heinrich I. gleichzeitig an beide Klöster erfolgte
und im St.Galler Verbüderungsbuch die Listen von Cazis und Impidines nebeneinander
liegen (Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster
im Bistum Chur, S. 17, S. 5).
2. Anfänge der Klosterkultur in Cazis
Die Anfänge der Klosterkultur im Bistum Chur sind bischöflichen Ursprungs. Die Bischöfe aus dem Haus der Victoriden haben Disentis und Pfäfers dotiert. Bei Cazis sind keine Vergabungen aus dem Hausbesitz der Victoriden bekannt, wie in der Schenkungsurkunde des Bischofs Tello für Disentis überliefert wird. Dass Cazis jedoch nicht als Hausstift entstanden ist, sondern die Stiftung durch Bischof Victor auf Kirchengut erfolgte, zeigt die Anwendung des germanischen Eigenkirchenrechts auf alle rätischen Kirchen im Jahre 806 (ebenda, S. 5-7). Cazis war eines jener beiden Frauenklöster, das bei der Trennung der bischöflichen und weltlichen Gewalt in Rätien und der anschliessenden Teilung von kirchlichem und staatlichem Gut dem Bischof verblieben war und als bischöfliches Eigenkloster behandelt wurde (Brunold, U.: Cazis, in: Helvetia sacra, Bd. III, 1. Teil, S. 254). Cazis weist auch keine unmittelbare kaiserliche Privilegierung auf. Zwei königliche Schenkungsurkunden zeigen, dass das Kloster eine Pertinenz der Kathedrale bildet, die nur als deren Sondervermögen eine gewisse Selbständigkeit erringt, durch die sie Grundeigentums- und Verwaltungsrechte besitzt (Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 7). So schenkte König Heinrich I. am 3. 11. 926 an Bischof Waldo von Chur auf Lebenszeit den bereits erwähnten Ort Almens («Luminins»). Nach dessen Tod sollte er unter den Klöstern Cazis und Wapitines (Mistail) aufgeteilt werden: «et post suum decessum equaliter dividatur inter duo monasteria, hoc et cacias et uuapitines, que constructa sunt in honore sancti petri principis apostolorum.» (Mohr, Th. v.: Codex Diplomaticus, I, Nr.41, S. 62).
Ebenso übertrug König Otto I. am 8. 4. 940 demselben Bischof auf Lebenszeit die Kirchen in Bludenz und im Schams, wobei letztere nach seinem Tod zum Unterhalt der Nonnen von Cazis bestimmt wurde. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts weist Cazis ausgedehntes Grundeigentum auf. Der ausführlich genannte Besitz des Klosters wird in der Bulle des Papstes Hadrian IV. vom 27. 11. 1156 dargestellt. Dieser befand sich vor allem im Domleschg und Safiental, erstreckte sich jedoch auch ins Albulatal, Oberhalbstein, Oberengadin und ins Vintschgau hinunter (ebenda, S. 254). Über den Besitzstand des Klosters am Ausgang des Mittelalters orientiert das Klosterurbar des Sigband Plattner von 1512 (Blöchlinger, L.: Dominikanerinnen Cazis, S. 13). Weder Grundbesitz noch Hoheitsrechte des Stiftes sind genügend untersucht; einzig die Safierverhältnisse - im Klagerodel der Churer Kirche von 1314 (Bundi, M.: Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens im Mittelalter, S. 376) - machen deutlich, dass das Kloster keine eigenen Gerichtsrechte besitzt:
«Der Grund und Boden in Safien gehörte seit frühen Zeiten schon dem Frauenkloster Katzis im Domleschg; aber Katzis war ein mittelbares Stift und stand selbst unter der Schirmvogtei des Bischofs und Domkapitels von Chur. Die Leute, welche die Klosterhöfe von Katzis in Safien bebauten, (...) standen zugleich mit dem Thalgebiet unter der Hoheit und Vogtei des Hochstiftes Chur. Sie waren nicht Leibeigene von Katzis, wohl aber Unterthanen oder Leute des Hochstiftes Chur, die der Bischof und das Domkapitel als Lehen verleihen, verkaufen und versetzen konnten.» (Muoth, J.: Beiträge zur Geschichte des Thales und Gerichtes Safien, in: Bündner Monatsblatt, Nr. 3, 1901, S. 49).
Diese spätmittelalterliche
Urkunde lässt Rückschlüsse auf das frühere Verhältnis
des Klosters zur Bischofskirche ziehen. Die Vertretung und Verwaltung des Klosters
geschieht durch den Viztum, eine Beamtung, die nicht vom Kloster, sondern vom
Bischof von Chur abhängig ist. Das Kloster besitzt auch keine unumschränkte
Selbstverwaltung und keine eigene Immunität, denn diese ist an diejenige
der Herrenkirche gebunden. Aus den Quellen des hohen Mittelalters lässt
sich schliessen, dass Cazis eine bischöfliche Gründung ist. Es gilt
als bischöfliches Eigenkloster, als Sondervermögen der Kathedralkirche.
Das geht mit Bestimmtheit aus der Schenkungsurkunde Heinrichs I. vom Jahre 926
hervor, die nicht direkt an Cazis und Impidines (Mistail) gerichtet ist, sondern
an den Bischof von Chur (Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster
im Bistum Chur, S. 7-17, S. 33f.).
3. Die kirchenrechtlichen Verhältnisse des Klosters
Das Frauenkloster
Cazis war vom Anfang des 8. bis ins 10. Jahrhundert eine Gemeinschaft von Kanonissen
ohne Gelübde, aber mit einer rechtlichen Bindung an das Stift und die Klausur
(Blöchlinger, L.: Dominikanerinnen Cazis, S. 11). Vor dem 12. Jahrhundert
fehlen jedoch die Hinweise auf eine Ordenszugehörigkeit. Durch die Schenkung
Tellos an Disentis (765) - «pradum Anives (...) confinientem ad abbatissae»
- und aus einer Liste des beginnenden 9. Jahrhunderts im St. Galler Verbrüderungsbuch
weiss man, dass es sich bei Cazis um einen Nonnenkonvent handelte, dem eine
Äbtissin vorstand. An der Spitze der Liste der «Sorores de Gaczes»
stehen drei Äbtissinnen: Waldrada, Calumniosa und Oportuna, insgesamt werden
41 Namen aufgeführt. Da bei Cazis nur diese eine Liste der Äbtissinnen
und Nonnen erhalten ist, lässt sich bis um die Mitte des 12. Jahrhunderts
über die Weiterentwicklung nichts aussagen. Die Verbrüderung mit St.
Gallen ist für Meyer-Marthaler ein Indiz, dass in Cazis seit dem 9. Jahrhundert
ein Ordensleben vorauszusetzen ist; es dürfte sich wie die Mehrzahl der
Verbrüderungsverbänden angehörigen Klöster zeitweilig dem
«Benediktinerorden angeschlossen haben.» (Meyer-Marthaler, E.: Zur
Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 8-10).
3. 1 Die Augustinerinnen
Die Entwicklung
der Orden zeigt, dass die Kanonissenstifte nicht dem Zeitideal entsprachen.
So forderten das fränkische Konzil von 742 und die Aachener Synoden von
802 und 816 die Umwandlung der freien Stifte in regulierte Klöster. Im
11./12. Jahrhundert entstand jedoch wieder eine Gegenbewegung, ein Verfall des
klösterlichen Lebens. Dies zeigte sich auch im Kloster Cazis. Die Reimsersynode
des Jahres 1148 hat die Umwandlung der Kanonissenstifte in Benediktiner- oder
Augustinerklöster gefordert. Von der Reform wird auch das Kloster Cazis
erfasst (Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster
im Bistum Chur, S. 12-14). In einem Bericht von 1156 beklagt sich der Churer
Bischof Adelgott über das Kloster Cazis: «in ecclesia beati Petri
de Cacias, quae tune temporis tota in maligno posita erat, eiecta inde synagoga
satanae, (...).» (Mohr, Th. v.: Codex Diplomaticus, Bd. I, Nr. 131, S.
180).
Bei seinem Reformwerk müssen ihm die Klosterfrauen Widerstand geleistet
haben. Er bestätigt für Cazis, dass nur wenige die Regulierung angenommen
hätten (Simonet, J.: Geschichte des Klosters Cazis, in: Raetica varia,
S. 132-138). Andererseits hat Bischof Adelgott 1156 die wirtschaftliche Situation
des Klosters durch die Inkorporierung von Kapellen (z.B. St. Martin in Cazis)
verbessert und diese zugleich mit dem Kloster von der Pfarrei Realt eximiert
und mit Pfarreirechten versehen. Das klösterliche Leben wird reguliert
und, der Augustinerregel gemäss, den Nonnen Gelübde und Klausur auferlegt.
Gleichzeitig wird das Kloster Cazis St. Luzi in Chur unterstellt. Dessen Probst
erhält das Recht der Äbtissinnenernennung; hingegen werden die Verwaltung
und seelsorglichen Funktionen einem der Mönche übertragen. Es handelt
sich jedoch nicht um eine Inkorporation, sondern Cazis bleibt bischöfliches
Eigenkloster. Im 13. Jahrhundert ist die Beziehung zwischen St. Luzi und Cazis
nicht mehr nachweisbar, da sich St. Luzi in ein Prämonstratenserstift umgewandelt
hat. Cazis, das bei der Augustinerregel verbleibt, erhält die freie Äbtissinnenwahl
(Meyer-Marthaler, E.: Zur Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum
Chur, S. 12-14).
4. Die Sprachverhältnisse im Raume Cazis im 9./10. Jahrhundert
Cazis liegt an
einem alten Handelsweg, der fremde Einflüsse mit sich bringt. Die archivalischen
Namenbelege sowie die Liste der Cazner Nonnen im St. Galler Verbrüderungsbuch
dokumentieren die Germanisierung im 9. und 10. Jahrhundert im Domleschg. Cazis
(Katzis) ist urkundlich seit 926 mit Cacias belegt. Der Name ist von «cattia»
(Schöpflöffel) abzuleiten, im Sinne einer geschützten Mulde.
In den Urkunden sind verschiedene, jedoch ähnliche Bezeichnungen zu finden:
Zu Beginn des 9. Jh. «(nomina Sororum) de Gaczes», 940 «Chazzes»,
1204 «in loco de Caza», 1400 «Katz» u.a. (Schorta, A./Planta,
R.: Rätisches Namenbuch, Bd. II, S. 653).
Obwohl Cazis tief im frühmittelalterlichen rätoromanischen Sprachraum
liegt, weisen einige Namenbelege Merkmale der hochdeutschen Lautverschiebung
auf, wie z.B. 940 «Chazzes», 9./10. Jh. «Chaces», und
jüngeren Datums ist «Chatz». Im Falle von Cazis handelt es
sich jedoch um eine «Fernwirkung» der Lautverschiebung, die bei
«wichtigen Siedlungsnamen, Standorten bedeutender Klöster, Burgen,
Brückenstellen oder Passnamen festzustellen ist.» (Sonderegger, S.:
Die Siedlungsverhältnisse in Churrätien, in: Von der Spätantike
zum frühen Mittelalter, S. 234f.).
Die Liste der Cazner Nonnen im St. Galler Verbrüderungsbuch gibt ebenfalls
Aufschluss über das Verhältnis der germanischen und christlich-kirchlichen
(romanischen) Namengebung der Personen. Von den 41 aufgeführten Taufnamen
sind 11 sicher deutscher Herkunft, die übrigen sind romanisch-christlichen
Ursprungs und entsprechen dem frühchristlichen Namensmaterial einer römischen
Provinz; einige davon, wie Salvia, Ursicina und Vigilia sind typisch rätischen
Gebrauchs. Der Einzugskreis der Namensfamilie des Klosters beschränkte
sich somit vorwiegend auf die Diözese Chur, deren Germanisierungsprozess
im 9. Jahrhundert noch in den Anfängen steckte (Meyer-Marthaler, E.: Zur
Frühgeschichte der Frauenklöster im Bistum Chur, S. 9f.).
Gesamthaft zeigt
sich, dass Cazis ein bischöfliches Eigenkloster war und zur Ausbildung
(Blöchlinger, L.: Dominikanerinnen Cazis, S. 56) der Töchter des rätischen
Adels gedient hatte. Erst seit 1156 besteht eine feste Ordenszugehörigkeit;
Cazis schliesst sich der Augustinerregel an und wird dem Männerkonvent
St. Luzi unterstellt. Zur Frage, ob Cazis ursprünglich mit St.Luzi einen
Doppelkonvent gebildet hat, bestehen keine Quellenangaben.